Corona - Virus im Kopf – Die Wirkung der Pandemie auf die menschliche Psyche

Virus im Kopf – Die Wirkung der Pandemie auf die menschliche Psyche

Christian Imboden

Die Privatklinik Wyss ist eine führende Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie und behandelt seit 1845 in Münchenbuchsee bei Bern Menschen mit psychischen Erkrankungen.

Seit Anfang 2020 ist das Virus SARS-CoV-2 in unserem aller Alltag präsent. Wie wirkt sich die Pandemie auf unsere Psyche aus?

Abschliessend ist das sicher noch nicht beurteilbar. Generell hat mit der Pandemie eine für uns bisher unbekannte Bedrohung in unser Leben Einzug gehalten. Diese bleibt für viele Menschen unsichtbar und schwer greifbar. Die Einschränkungen im Frühjahr waren für die meisten Menschen nachvollziehbar, je länger die Situation aber aufrechterhalten wird, desto mehr macht sich bei vielen einerseits eine gewisse Müdigkeit, andererseits eine Ohnmacht breit. Soziale Kontakte – ein Grundbedürfnis des Menschen – sind plötzlich ein Problem. Wir begegnen uns zunehmend mit verhülltem Gesicht, was ungewohnt ist und Interaktionen verändert. Dadurch kann sich Einsamkeit verstärken.

Was passiert in unserem Kopf, wenn wir länger mit Ängsten, Sorgen oder auch Unsicherheit leben?

Unsicherheit und Ängste führen zu einem andauernden Alarmzustand im Gehirn und im Körper. Das kann unter anderem zu Erschöpfung, einer erhöhten Reizbarkeit und Schlafproblemen führen.

Bei welchen Anzeichen sollte ich zum Arzt?

Sobald man andauernd in einer hohen Anspannung ist, Sorgen nicht mehr aufhören und Schlafstörungen oder andere vegetative Beschwerden wie unter anderem Verdauungsstörungen und Verspannungen auftreten, ist es angezeigt, sich von einer Fachperson beraten zu lassen. 

Gehen Sie von psychischen Langzeitfolgen aus?

Was sicher auch psychische Langzeitfolgen mit sich ziehen wird, ist die ungewisse berufliche Zukunft in vielen Branchen verbunden mit einer erhöhten Rate an Arbeitslosigkeit und Konkursen über die nächsten Monate. Inwieweit die Belastungen mit der Pandemie an sich Langzeitfolgen mit sich bringen, ist wohl individuell sehr unterschiedlich. Grundsätzlich sind wir Menschen recht belastbar.

Werden Ihrer Meinung nach die Corona-Folgen für die Psyche unterschätzt?

Ich bin nicht sicher, wie gut psychische Auswirkungen – durch die ganzen Massnahmen rund um die Pandemie herum – wirklich in deren Beurteilung mit einbezogen werden. Der Fokus scheint im Moment vorwiegend auf der Reduktion von Infektionen zu liegen. Auswirkungen auf die Wirtschaft sind dabei ein häufiges Thema, Auswirkungen auf die Psyche nur am Rande.

Hat sich die Anzahl von Fällen psychischer Krankheit in diesem Jahr erhöht?

Das können wir erst retrospektiv beurteilen. 

Was machen Corona-Angst und Social Distancing mit Menschen, die ohnehin bereits psychisch krank sind? Wie etwa Personen, die an Depressionen oder Angstzuständen leiden? 

Ängste können dadurch verstärkt werden. Die Selbstisolation und soziale Distanz zu anderen führen gerade bei Menschen, welche sich zum Beispiel aufgrund einer Depression bereits von anderen isoliert fühlen, zu einer Verstärkung dieser Gefühle.

Wo und in welcher Form finden Betroffene Hilfe?

Eine gute erste Anlaufstelle ist häufig der Hausarzt. Des Weiteren gibt es verschiedene ambulante psychiatrisch-psychotherapeutische Angebote, wo Betroffene rasch einen Termin erhalten können. 

Gibt es in der stationären Psychiatrie vermehrt Personen, die spezifisch aufgrund der Pandemie eine Verschlechterung der psychischen Gesundheit erfahren?

Die Pandemie und ihre Folgen respektive Einschränkungen sind bei vielen Patientinnen und Patienten ein zentrales Thema und gerade für Menschen mit eingeschränktem sozialem Umfeld auch ein Grund für die Verschlechterung. 

Bei Grippe, Erkältung oder Bronchitis wird empfohlen, sein Immunsystem zu schützen und zu stärken. Was empfehlen Sie, um auch während der kalten und dunklen Jahreszeit bei guter psychischer Gesundheit zu bleiben? 

Genügend körperliche Aktivität, am besten draussen in der Natur, eine ausgewogene Ernährung und genügend Schlaf sind wichtige Grundpfeiler. Weitere positive Aktivitäten, welche das Befinden stärken, sind ebenfalls sinnvoll. Hierzu ist es auch wichtig, sich nicht andauend mit neuen Corona-Meldungen aus den Medien einzudecken, sondern den Medienkonsum bewusster zu gestalten. Es kann auch sinnvoll sein, einmal ein paar Tage keine News zu lesen. Trotz der Einschränkungen ist es sehr zu empfehlen, die wichtigsten und positivsten sozialen Kontakte weiter gut zu pflegen. Wenn nötig auch auf Distanz. Technische Möglichkeiten dazu haben wir ja heute zu genüge.